Bibel-Dewarim-Deuteronomium-Parascha-WAETCHANAN-Kapitel 3, Vers 25
9.8.2022-DEWARIM-WAETCHANAN
© Ari Lipinski
DeuteronomiumKapitel 3, Verse 23-25
(Bemerkung:Manche Zitate aus diversen Bibelübersetzungen enthalten die damaligeBuchstabierung, auch wenn diese den heutigen Duden-Regelungen nicht entsprechen.)
DieGelehrten Israels befassten sich Jahrhunderte lang mit den Fragen, worum hatMose gebeten im besagten Abschnitt gebeten, und was hat ihm der Ewigegestattet. Das Besondere in diesem Fall war, das hier Mose eine persönlicheBitte geäußert hat, die um sein zum Teil privates Anliegen ging. Bei allenfrüheren stellen in der Torah hat Mose beim Gebet an den Ewigen nur Anliegenvorgetragen, die anderen Menschen betrafen. Entweder ging es um die Verschonungder Söhne Israels nach bestimmten Sünden, oder es ging um die Bitte von Mose umeine rasche Genesung seiner Schwester Miriam, die wegen deren übler Nachredebetreffend Zipora (die midjanitische dunkelhäutige Frau von Mose). Wir würdengerne lernen, wie der Ewige auf ein privates Anliegen bei Mose reagierte, denn gläubigeMenschen pflegen bekanntlich, im Gebet auch private Anliegen dem Ewigendarzulegen. Das ist theologisch für gläubige Juden und Christen sehr wichtig.Denn Viele Gläubige pflegen, Gebete an Gott zu richten. Wenn Moses im GebetGott um zwei Anliegen bittet (über den Jordan ziehen zu dürfen und dasgute Land und den guten Berg und den הלבנ.ן zusehen),so ist es sehr lehrreich, zu wissen, was der Ewige dem großen Propheten Mosegeantwortet hat. Viele Leute antworten instinktiv aus der Erinnerung, dass GottMose nicht erlaubte, über den Jordan ins gelobte Land Kanaan zu ziehen. Das stimmt. Allerdings hat der Gelehrte Rabbiner ShlomoEphraim Luntschitz (1550-1619) in seinem Werk Kli Jakar(Ein kostbarer Behälter) den Beweis geführt, dass der Ewige Mose das gute Landund den guten Berg hat sehen lassen! Damit lernen wir etwas sehr Wichtiges:Mose hat um zwei Anliegen gebeten. Der Ewige gewährte eine Bitte nicht (‚Mosedurfte nicht über den Jordan ins Land Kanaan westlich des Jordans ziehen). Aberder Ewige entsprach der anderen Bitte von Mose, das Gute Land und den gutenBerg zu sehen! Daraus dürfen Gläubige die Hoffnung schöpfen, im Gebet eineBitte an den Schöpfer der Welt zu richten. Es gibt natürlich keine Garantie,dass jede Bitte in Erfüllung geht. Das weiß auch jeder. Aber dadurch, dassnicht beide Bitten von Mose verweigert wurden, gibt es Hoffnung, einepersönliche Bitte an den Ewigen zu richten!
כג ואתחנן,אל-יהוה, בעת ההוא, לאמר. כד אדנייהוה, אתה החלות להראות את-עבדך, את-גדלך, ואת-ידך החזקה--אשר מי-אל בשמים ובארץ,אשר-יעשה כמעשיך וכגבורתך. כהאעברה-נא, ואראה את-הארץ הטובה, אשר, בעבר הירדן: ההר הטוב הזה ,והלבנ.ן.
“23 Und ich bat den HERRN zu derselben Zeit undsprach: 24 Herr, HERR, du hast angehoben, zu erzeigen deinem Knechtdeine Herrlichkeit und deine starke Hand. Denn wo ist ein Gott im Himmel undauf Erden, der es deinen Werken und deiner Macht könnte nachtun? 25 Laßmich hinübergehen und sehen das gute Land jenseit des Jordans, dies guteGebirge und den Libanon.“ (Luther)
„23 Und ich flehte zu Je-hova in selbiger Zeit undsprach: 24
Herr,Je-hova! du hast begonnen, deinem Knechte deine Größe und deine starke Hand zuzeigen; denn welcher Gott ist im Himmel und auf Erden, der tun könnte gleichdeinen Werken und gleich deinen Machttaten? 25 Laß mich dochhinüberziehen und das gute Land sehen, welches jenseit des Jordan ist, diesesgute Gebirge und den Libanon.“ (Elberfelder)
„23 Um Gunst ging ich IHN an zu jener Frist, sprach:24 Mein Herr, DU, du hast begonnen, deinen Knecht deine Größe unddeine starke Hand sehen zu lassen, denn welche Gottmacht ist, im Himmel und aufder Erde, die gleichtäte deinen Taten, deinen Heldenwerken! 25 Dürfte ich doch hinüberschreiten, daß ich sehe das gute Land,das über dem Jordan ist, dieses gute Gebirg und den Libanon!“ (Buber Rosenzweig)
„23 Damals rief ich den Herrn um Gnade für mich an:24 Gott, mein Herr! Duhast angefangen, deinen Knecht deine Macht und deine starke Hand schauen zulassen. Welcher Gott im Himmel oder auf der Erde hat etwas vollbracht, wasdeinen Taten und deinen Siegen vergleichbar wäre? 25 Lass mich dochhinüberziehen! Lass mich das prächtige Land jenseits des Jordan sehen, diesesprächtige Bergland und den Libanon!“
(Einheitsübersetzung)
„23 Damals flehte ich Ja-hwe um sein Erbarmen an. 24 'Jahwe, meinHerr', sagte ich, 'du hast begonnen, deinem Diener deine Größe undMacht zu zeigen. Welcher Gott im Himmel und auf der Erde könnte es deinenWerken und gewaltigen Taten gleichtun? 25 Lass mich doch auchhinübergehen und das gute Land auf der anderen Seite des Jordan sehen, das guteBergland und den Libanon!' (Neue Evangelistische)
Der zweite Wochenabschnitt im Buch
Deuteronomium (Dewarim, „DieReden“) fängt mit dem Wort „Und“ an. Dasanschließende Verb „waetchanan“ wurde in deutschen Bibel-Übersetzungen inunterschiedlicher Weise übersetzt. Das rührt daher, dass in der Tat das hebräischeVerb „waetchanan“ gleichzeitig mehrere Bedeutungen hat.
Gehen wir aber zuerst der Reihe nach. Der Wochenabschnitt fängtin Vers 23 gezielt mit dem Wort „Und“ an, um aufeinen wichtigen Zusammenhang zum voranstehenden Text hinzuweisen. In Vers 25lesen wir, dass Mose an den Ewigen zwei Wünsche geäußert hatte:
1. Mose wollte über denJordan ziehen.
2. Mose wollte das guteLand, den guten Berg und den „Lewanon“ הלבנ.ןsehen. (Ich habe mit Absicht nicht dasWort “Libanon” zitiert.Die spannendeBegründung dafür werde ich in den kommenden Absätzen als eineweitere „Perle der Thora“ erläutern.)
Wirwundern uns, warum Mose doch darum gebeten hat, über den Jordan zu ziehen,obwohl er bereits nach dem Geschehen am Hader-Wasser vom Ewigen erfahren hatte,dass er (Mose) und Aharon das Volk Israel nicht in das gelobte Land (Kanaan)führen würden. DieFrage könnte auch lauten: „Was hat Mose dazu veranlasst, zu glauben, dass er unter Umständen doch nochin das gelobte Land würde hinüberziehen dürfen?“
DasVerbindungswort „Und“ am Anfang von Vers 23 führt uns zu den historischenEreignissen, die im ersten Teil von Kap. 23 aufgeführt wurden. Dort lesen wirnämlich, dass unter der Führung von Mose das Volk Israel sowohl das Land derAmoriter als auch das Land Baschan erfolgreich erobert hatte. Da mitZustimmung des Ewigen Mose den Stämmen Ruben und Gad sowie demhalben Stamm Manasse Gebiete östlich vom Jordan für deren Niederlassungzuweisen durfte, konnte Mose annehmen, dass er persönlich bereits in einem Teildes verheißenen Landes sich aufhalten durfte. Daraus hatte Mose die neueHoffnung geschöpft, dass vielleicht der Ewige ihm auch den Einzug über denJordan gewähren würde. Vor diesem Hintergrund verstehen wir, dass Mose(bestärkt durch die Eroberung des Landes der Amoriter und des Baschan) sich zwarbescheiden, aber hoffungsvoll an den Ewigen anflehend wendete, um seine zweioben genannten Wünsche (vom Vers 25) vorzutragen. Mose berichtete dem Volk imBuch Deuteronomium (Dewarim) in Kap. 3, Vers 23, dass er sich flehend an denEwigen gewandt hatte. Mose setzte bewusst das besondere Verb „waetchanan“ein. Nunwollen wir, die vielfältige Bedeutung dieses Verbes mehr erläutern:
Zuerstdarf ich auf die originelle Bemerkung des berühmten Thora-Kommentars „Ba‘alHaTurim“ desRabbi Jakob ben Ascher (1269-1343)verweisen, der uns darauf aufmerksam machte, dass der hebräische Buchstaben-Zahlenwert (in Gimatria) des Wortes „waetchanan ואתחנן“ 515 sei. Das ist zugleich der Zahlenwertdes hebräischen Wortes „Schira שירה“,das „Lobgesang“ bedeutet. Gleichzeitig ist auch der Zahlenwert des hebräischenWortes für „ein Gebet“ (Tefila תפלה) ebenfalls 515.Daraus leitete „Ba’alHaTurim“ ab, dass Mose sowohl ein Gebet als auch eine Lobpreisung des Ewigen mitdem Wort „waetchanan“zum Ausdruck brachte.
Das Wort „waetchanan“ schließt gleichzeitig die Wurzelbuchstaben von mehrerenhebräischen Verben ein:
1. „Chanon“bedeutet, zu begnadigen.
2. „MatzaChen“ bedeutet, Gefallen zu
finden.
3. „Lehitchanen“ bedeutet, anflehen.
4. „Chinam“bedeutet, gratis erhalten bzw. unverdient beschenkt werden.
Wir sehen also, dass Mose mit einem Verb sowohl sein „Anflehen“als auch sein Gebet an den Ewigen mit der Hoffnung richtete, dass er (Mose)beim Ewigen Gefallen finden möge, und gleichzeitig der Ewige ihm (Mose) seinerBitte wohlwollend Gehör verleihen würde, die als ein„gratis gewährtes Geschenk“ gelten würde.
Mit dieser Gedankenkombination brachte Mose geschickt zumAusdruck, dass auch wenn er es vielleicht nicht verdient hätte, er denEwigen doch anflehend um den Einzug über den Jordan und um den Anblick desgelobten Landes gebeten hatte. Nachdem wir die sprachlichen Schätze in Vers 23beleuchtet haben, wenden wir uns nun zu besonderen „Perlender Thora“, die in Vers 25 enthalten sind. Setzen wir unseren„sprachlichen Spaziergang“ durch den Garten der besonderen Metaphern in Vers 25 fort.Ein Archäologe benützt gerne eine feine Bürste, um behutsam Mosaiksteine vonStaub an das Tageslicht zu bringen. Um den richtigen, wahren Inhalt des Versesaufzuschlüsseln, müssen wir wieder einmal mehrere Übersetzungsprobleme beheben:
Auf Hebräisch ist die Rede sowohl vom „guten Land“ als auch vom „guten Berg“ die Rede. Viele deutsche Übersetzungen,die vom „schönen Land“ und vom „schönen Berg“ sprachen, sindfalsch. Das Qualitätswort „gut“ bedeutet nämlich vielmehr als nur„schön“! Welcher Berg war mit der Bezeichnung „guterBerg“ gemeint? Raschi und Abarbanel sowie eigentlich diemeisten großen hebräischen Kommentatoren haben auf Grund zahlreicher andererBibelstellen überzeugend dargelegt, dass es sich beim „gutenBerg“ offensichtlich um den Berg Moriah handelte.
Eine besondere „Perle der Thora“finden wir im hebräischen Wort von Mose „haLewanon“ „הלבנ.ן“. Über 20 deutsche Bibelübersetzungen sowie mehrere englische,französische, spanische und portugiesische Bibel-Übersetzungen schreiben alleam Ende von Vers 25 das Wort „Libanon“. Diese Buchstabierung ist höchst irreführend!Denn, auf Hebräisch ist überhaupt nichtvom Land „Libanon“ die Rede! Dazumüsste es in der Thora lauten „והלבנון“. Das ist aber nichtder Fall! Es steht in der Thora „והלבנ.ן“ Die Gelehrtenfragten sich, was Mose überhaupt im Libanon hätte suchen wollen??? Weil esvöllig unlogisch wäre, dass Moseeine besondere Anflehung an den Ewigen richten würde, um das Land Libanon zusehen, schauten sich die Gelehrten (Mechilta de Rabbi Jischmael (90-135), Raschi(1040-1105), und Ba’al haTurim (1269-1343) dieStelle nochmals sehr genau an.
Die hebräische Buchstabierung ohne den Buchstaben Waw (alsvorletzten Buchstaben) brachte sie zur klaren Schlussfolgerung, dass das Wort nicht auf das Land Libanon deutete,sondern vielmehr von der Wurzel Lawan(die Farbe „weiß“) abgeleitet werdenmüsste. Daraus ließ sich die logische Reihenfolge im Satzbau von Mose gut undleicht nachvollziehen: Mit dem gutenLand war Kanaan und mit dem gutenBerg war der Berg Moriah gemeint. Also war der „weiße Ort“ „הלבנ.ן“ der Tempel, denn dort würden die Sünden Israels durch Opfergesühnt, also „reingewaschen“bzw. symbolisch „weißgewaschen“! Die hebräische Bezeichnung „haLewanon“ „הלבנ.ן“ am Endedes Vers 25 war eine edle Metapher von Mose, die auf die Funktion des Tempelsals Ort der Sühne für die Kinder Israels hingewiesen hatte.